Text Mia Hofmann
Mitarbeit Benjamin Sägesser
Seit einem Motorradunfall mit 14 Jahren sitzt Nigel Bailly im Rollstuhl. Heute fährt der Belgier Rennen der Lamborghini Super Trofeo und der GT3-Klasse und hat sogar schon am 24-Stunden-Rennen von Le Mans teilgenommen. Doch um seine Leidenschaft ausleben zu können, müssen die Autos spezifisch für ihn umgebaut werden. Dafür braucht es die richtigen Partner.

Nigel Baillys Leidenschaft für den Motor­sport ist gross. So gross, dass es für ihn ausser Frage stand, nach seinem schweren Unfall weiter Rennen zu fahren. «Für mich war klar: Ich will mich auch mit Nichtbehinderten mes­sen», betont er. Seine Querschnittlähmung sollte sein Leben nicht komplett bestimmen. Deshalb wählte er eine Sportart, für die es den Rollstuhl nicht braucht: den Automobilsport. Dass er es einmal bis zum 24-Stunden-Rennen von Le Mans schaffen würde, hätte er jedoch nicht zu träumen gewagt.

Seine Faszination für Motoren erwachte schon früh. Bereits als 6-Jähriger machte der 1989 in Gosselies, einem Stadtteil von Charle­roi in Belgien, geborene Nigel erste Erfahrun­gen mit einem Motorrad. Sein Grossvater war Motorsport-Fan und liess ihn ausprobieren. «Ich liebte die Geschwindigkeit vom ersten Moment an», blickt er zurück. Seine Eltern liessen ihn gewähren, und mit 14 Jahren war Nigel ein vielversprechender Motocrossfahrer. Während eines Wettkampfs passierte es dann: Bei einem Sturz zog er sich so starke Rückenverletzungen zu, dass er querschnittgelähmt war. Im ersten Moment sah es aus, als würden seine sportlichen Ambitionen damit begraben. Doch es kam anders.

Le Mans – der grosse Traum
Bereits zweieinhalb Monate nach dem Unfall setzte sich der junge Nigel in einen Kart mit Handgas – oder besser: liess sich setzen. Denn von nun an war er auf Unterstützung angewiesen. «Das war schon krass: Ich musste mit 14 Jahren meine Welt komplett neu erfinden», sinniert der heute 35-Jährige. Für ihn sei aber klar gewesen, dass er weiterhin Abenteuer mit Motoren erleben wolle. «Ich kann mir selbst nicht genau erklären, wie ich damals so schnell die Motivation zurückgewonnen habe.» In den folgenden Jahren fuhr er weiterhin Kart, absolvierte erst eine Ausbildung im Immo­biliensektor, danach eine zum Direktions­assistenten.

Seine Motorsportkarriere nahm langsam Fahrt auf. 2017 nahm Bailly zum ersten Mal am Renault Clio Cup teil – und wurde in seiner Kategorie Zweiter. Kurz darauf erfuhr er, dass Frédéric Sausset handicapierte Fahrer für sein Team suchte. Sausset selbst hatte es geschafft, 2016 trotz amputierter Arme und Beine mit einem adaptierten Fahrzeug am 24-Stunden-Rennen von Le Mans teilzunehmen. Also dachte sich Nigel Bailly: «Wieso nicht? Ich hatte ja absolut nichts zu verlieren.» Mit ein paar anderen Fahrern absolvierte er einige Testfahr­ten – und bekam die Zusage. «Ich war sehr überrascht, denn ich war nicht der Beste auf der Strecke», erzählt er heute. «Aber einer, der die Anweisungen der Trainer umsetzen konnte.»

Der Plan: zusammen mit dem ehemaligen japanischen Motorradrennfahrer Takuma Aoki und dem Franzosen Snoussi Ben Moussa 2020 ein Team für Le Mans bilden, das komplett aus Fahrern mit Beeinträchtigung bestand. Auf­grund der Corona-Pandemie wurde es aber ein Jahr später, und Ben Moussa wurde durch den Le-Mans-Veteranen Matthieu Lahaye er-setzt. Mit einem speziell adaptierten Oreca 07 Gibson, einem Rennwagen mit V8-Motor, ab-solvierten sie das Rennen. Für Bailly ging ein Traum in Erfüllung.

“ICH LIEBTE DIE GESCHWINDIGKEIT VOM ERSTEN MOMENT AN.”

Grosse Kräfte
Aktuell bestreitet Nigel Bailly Rennen der Lamborghini Super Trofeo. Doch wie sieht so ein umgebauter Rennwagen aus? «Von aussen sieht man keinen Unterschied», sagt der Belgier und lacht, «beim Innenausbau schon ein biss-chen.» Wichtig ist ihm, dass das Auto hybrid ist – es kann also von Fahrern mit und solchen ohne Behinderung gelenkt werden. Links hinter dem Lenkrad befindet sich der Gas­hebel, auf der rechten Seite die Schaltung und der Bremsknüppel. «Wir müssen das Lenk-rad zwischendurch mit nur einer Hand be-dienen – das ist eine der grössten Herausfor­derungen», so Bailly. Denn bei über 250 km/h gilt es grosse Kräfte zu bewältigen. Alle Abläufe laufen über Hände und Finger. Dieses fein­gliedrige technische Zusammenspiel braucht viel Übung. Und die Komponenten müssen alle als Einzelteile hergestellt werden.

Zum Beruf des Rennsportlers gehört auch die Sponsorensuche. Der Motorsport ist sehr teuer. «Der Job hat viele Seiten: physisches Training, Terminplanung, soziale Medien bedienen, Partner anfragen, immer neue Ideen und Strategien aushecken», führt Bailly aus. Er habe von Anfang an gewusst, dass er lieber auf mehrere kleinere und treue Sponsoren setzen wolle. Über LNS, einen Hersteller von Werkzeugmaschinen-Peripheriegeräten aus dem Berner Jura, lernte er die Firma Blaser Swisslube kennen und fragte CEO Marc Blaser über LinkedIn für ein Sponsoring an. Nach einigen Versuchen durfte er ihm 2022 sein Sponsoringdossier zukommen lassen – und konnte ihn überzeugen.

«Mich sprach vor allem an, dass er seine Einstellung ‹Never give up› wirklich lebt und sich auch von Rückschlägen nicht aufhalten lässt», sagt Marc Blaser heute. «Nigel hat ein optimistisches Mindset, eine klare Vision und ist sehr lösungsorientiert – das verbindet uns.» Aus dem anfänglichen Sponsoring ist mittlerweile eine echte Partnerschaft geworden: Blaser hat im hauseigenen Technologiecenter bereits vier wichtige Teile für Baillys Rennwagen hergestellt.

Herzstück Bremssysteme
«Die grösste Herausforderung ist die spezielle Bauform der Teile für das Bremssystem», erklärt Benjamin Sägesser. Er ist CNC-Programmierer im Technologiecenter von Blaser Swisslube und hat gemeinsam mit seinem Teamkollegen Benjamin Roth die Teile für Bailly produziert. «Das Ganze sieht aus wie eine verlängerte, aufgestellte Handbremse, die nur mit der rechten Hand bedienbar ist», so der gelernte Polymechaniker. Die komplexesten Arbeiten seien die gedankliche Vorarbeit, das Programmieren der Maschine sowie die richtige Werkzeugwahl. Die Komponenten aus Aerospace-Grade-Aluminium fräste Sägesser auf einer hochmodernen 5-Achs-Maschine, wobei die Aufspannung eine besondere Herausforderung war. «Wie so oft muss das ganze Paket von Werkzeug, Aufspannung, Maschine und Kühlschmierstoff passen, um das bestmögliche Resultat zu erreichen», betont Sägesser (Produkte siehe Box).
Präzision und Zuverlässigkeit
Nigel Bailly ist dankbar für diese «echte Zusammenarbeit», wie er es nennt. «Dank dieser Unterstützung kann ich anderen zeigen, dass alles möglich ist – egal unter welchen Voraussetzungen.» Es freut ihn, dass diese Teile nun direkt von einem seiner Partner kommen. Denn er müsse sich zu 100 Prozent darauf verlassen können. Präzision und Zuverlässigkeit sei bei beidem essenziell: bei der Fertigung der Teile und bei der Bedienung im Rennen. «Ohne Vertrauen geht nichts – es geht schliesslich bei jedem Rennen um mein Leben.» Sein Ziel ist es, das Risiko bestmöglich zu minimieren. Neben seiner Familie und seinem Team bezeichnet er auch seine Partner als wichtigste Men­schen in seinem Leben: «Sie sind alle mit dabei bei meinem Abenteuer.» Sie hätten ihn von Anfang an unterstützt und seine Entwicklung miterlebt. «Auch dank ihnen bin ich heute, wo ich bin», fügt er an. «Ich meine das ernst: Wir haben meine Karriere wirklich gemein­sam geschaffen!»
Im Einsatz bei der Herstellung der Teile für das Bremssystem von Rennfahrer Nigel Bailly
  1. CNC-Maschine: GF Mikron MILL E 700 U
  2. Fräswerkzeug: DIXI Polytool
  3. Werkzeughalter: BIG Daishowa, Rego-Fix
  4. Schraubstock: Gressel
  5. Software: HyperMILL
  6. Kamera: Rotoclear
  7. Kühlschmierstoff: Blaser Swisslube
Meilensteine in der Karriere

1995
erste Fahrten mit dem Motorrad des Grossvaters

1997–2003
diverse Motocrossrennen

2004–2016
Handgas-Kart-fahren als Hobby

2017
Renault Clio Cup in Spa-Francorchamps:
2. Rang in seiner Kategorie

2021
24-Stunden-Rennen von Le Mans im Team Frédéric Sausset

2022
24-Stunden-Rennen von Spa-Francorchamps

2022
Gewinn eines GT3-Rennens als erster Paraplegiker

2023–2025
Lamborghini Super Trofeo