Text Peter Bader

Die Zukunft gehört den Handwerkern

Seit Jahren kämpft die technische Industrie mit einem Fachkräftemangel. Automatisierung, modernes Employer Branding und Bemühungen zur Nachwuchsförderung können helfen, das Problem aber nicht vollständig lösen. Doch der Doyen der Branche bleibt optimistisch.

Ernst Thomke ist besorgt. Der Doyen der Schweizer Industrie, der in den 80er-Jahren der Uhrenindustrie neues Leben einhauchte, macht «einen massiven Mangel an klassischen Handwerkern» aus. Ein Hauptgrund dafür sei, dass sich immer mehr junge Leute – eher auf Drängen ihrer Eltern und weniger wegen ihrer intellektuellen Fähigkeiten – für das Gymnasium und gegen eine Berufslehre entscheiden würden. Das habe insbesondere mit dem mancherorts nach wie vor schlechten Image von handwerklichen Berufen zu tun, sagt der 86-Jährige, der einst selbst eine Mechanikerlehre absolviert hat.

Der Blick auf die aktuellen Zahlen bestätigt Thomkes Bestandesaufnahme. Gemäss dem Schweizer Jobradar waren in der Schweiz im ersten Quartal 2025 2421 Polymechaniker-Stellen unbesetzt. Zudem wurden 2235 Service-Technikerinnen, 2205 Automatikfachpersonen, 1838 Mechaniker und 1726 Maschinenbedienerinnen gesucht. Angeführt wird diese Liste von Pflegefachpersonen (6450), Elektromonteuren (6203) und Schreinerinnen (3555).

Oberste Priorität: Employer Branding
Der zunehmende Mangel an handwerklichen Fachkräften sorgt auch bei Eva Jaisli, Verwaltungsratspräsidentin und Mitinhaberin von PB Swiss Tools, für Sorgenfalten. Und das schon seit Jahren. Haupt­verantwortlich dafür sei der demo­grafische Wandel mit der Pensionierung geburtenstarker Jahrgänge und dem Mangel an Nachwuchs. Der Hersteller von Werkzeugen und medizinischen Instrumenten im Emmental im Kanton Bern bietet Ausbildungen in acht Berufen an. Insbesondere für die Berufslehren zum Produktionsmechaniker und zur Polymechanikerin fänden sich immer weniger Interessenten, betont Jaisli. Vor allem Letztere seien hoch spezialisierte Know-how-Trä­ger, die man nicht einfach so im Ausland rekrutieren könne. «Wir sind darauf angewiesen, unsere eigenen Fachkräfte auszubilden.»
Höchste Priorität geniesst bei PB Swiss Tools ein modernes Employer Branding, mit dem sich das Unternehmen als verlässlicher und attraktiver Arbeitgeber und Aus­bildungsbetrieb präsentiert. Jaisli: «Wir machen hochwertige Kampagnen, wir sind in den sozialen Medien und an Messen präsent, wir pflegen persönliche Netzwerke. Und wir integrieren in unsere Bemühungen auch unsere jungen Mitarbeitenden.» Zudem sei es wichtig, die Nähe zu Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern zu suchen, diese in den Betrieb einzuladen und sie so für technische Berufe zu begeistern. Ihr als Vizepräsidentin von Swissmem, dem Branchenverband der Schweizer Tech-Industrie, ist es darüber hinaus ein Anliegen, dass die technischen Berufsbilder und -ausbildungen laufend weiterentwickelt und attraktiver werden. Hier seien die Branchenverbände gefordert.

Das bestätigt Enzo Armellino, Geschäftsführer von Swissmechanic Solothurn, dem «agilen Verband der KMU-MEM-Industrie». Ohnehin habe sich das handwerkliche Arbeits­umfeld grundlegend geändert. «An die Stelle von teilweise schmutzigen, dunklen Werkstätten treten heute helle Hallen mit modernen Maschi­nen. Lernende sind die Fachkräfte von morgen, es wird heute viel mehr Wert auf eine gute Ausbildung gelegt.» Natürlich automatisierten Unternehmen ihre Prozesse, um Personal einzusparen und wettbewerbs­fähig zu bleiben, ergänzt Armellino. Aber auch für das Programmieren, das Einrichten und Bedienen der Maschinen und Anlagen brauche es hoch qualifizierte Arbeitskräfte wie etwa Polymechaniker. «Es ist deshalb wichtig, dass sich viele junge Leute für eine Berufslehre entscheiden. So arbeiten sie später an den Maschinen und generieren konkrete Wert­schöpfung.»

“Leuchtturmprojekt der dualen Bildung”
Swissmechanic Solothurn bie­tet Überbetriebliche Kurse (ÜK) und Grundbildungen etwa für angehende Polymechanikerinnen, Produktionsmechaniker und Konstrukteurinnen sowie Weiterbildungen für Erwachsene an. Im Sommer 2025 zog der Verband mit seinen Bil-dungsangeboten in den neu erstellten Campus Technik in Grenchen. Modernste Maschinen und innovative Infrastruktur heben dort zusammen mit zeitgemässen didaktischen Methoden die Aus- und Weiterbil­dungen auf ein neues, praxisorien­tiertes Niveau.

Zudem wird im Campus eigens eine Werkstatt für das Programm «focusMINT» eingerichtet. Dort werden Schülerinnen und Schüler ab dem Vorschulalter stufengerecht an die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) herangeführt und für die entsprechenden Berufe begeistert. «Wir müssen Kinder und Jugendliche mög­lichst früh für unsere Branche gewinnen. Gerade bei Mädchen schlummert diesbezüglich noch viel unge­nutztes Potenzial», ist Armellino überzeugt. Auch Start-up-Unterneh-men und die Höhere Fachschule Technik Mittelland (hftm) als Ent-wicklungspartnerin für die Wirt­schaft werden in den Campus einziehen. «Der Campus vereint die gesamte Bildungs-Wertschöpfungskette und damit das lebenslange Lernen unter einem Dach und ist deshalb ein Leuchtturmprojekt der dualen Bildung.»

Tiefe Fluktuation

Liquidtool Systems, ein Schwesterunternehmen von Blaser Swisslube, bietet Lösungen für den automati­sierten Einsatz von Kühlschmierstoff. Das steigert die Effizienz, spart Kosten und «erlaubt den Unternehmen, ihre raren Fachkräfte für wichtigere Aufgaben als die Überw-chung und Pflege des Kühlschmierstoffs einzusetzen», wie Daniel Brawand, Marketing- und Verkaufsverantwortlicher bei Liquidtool Systems, sagt. Das Unternehmen selbst beschäftigt vor allem IT-Fachkräfte und stützt sich bei deren Rekrutierung insbesondere auf LinkedIn-Kampagnen und persön­liche Netzwerke. Blaser Swisslube setzt schon seit vielen Jahren auf ein modernes Employer Branding und attraktive Anstellungsbedingungen. Das zahlt sich aus. «Wir bei Blaser Swisslube haben eine tiefe Fluktuation. 2024 waren es 4,2 Pro-zent bei einem Branchendurch­schnitt von 12 Prozent», sagt die HR-Verantwortliche Renate Troxler.

Ernst Thomke ist ein grosser Förderer des Campus Technik. Er hat den Bau finanziert und stellt die Räumlichkeiten zu attrakti­ven Konditionen zur Verfügung. Auch ange­sichts solcher Angebote bleibt er optimis­tisch. «Handwerkerinnen und Handwerker werden zwar von KI unterstützt, aber nicht wie viele andere Berufsgruppen von ihr ver­drängt. Überspitzt formuliert: Die Zukunft gehört Handwerkern sowie hoch qualifizierten Mathematikerinnen und Ingenieuren und nicht Bankern, Juristinnen, kaufmännischen Angestellten oder Buchhaltern.»

Fotos Im Campus Technik in Grenchen gibt es eigens eine Werkstatt für das Programm «focusMINT». Dort sollen sich Kinder, Jugendli­che und vor allem auch Mädchen möglichst früh für die technische Branche begeistern. (Swissmem, Enzo Armellino, Alexandra Schürch