Text Thorsten Kaletsch
Bauteile aus Titan spielen in der Luftfahrt eine wichtige Rolle. Bei der Bearbeitung stellt dieser Werkstoff die Zerspanungsfachleute vor grosse Herausforderungen. In enger Zusammenarbeit erreichten ein Hersteller von Bearbeitungszentren, ein Werkzeughersteller sowie ein Kühlschmierstoffproduzent nun aber erstaunliche Optimierungen.
Genau mit diesem Ziel haben sich drei Unternehmen zusammengetan und dabei beeindruckende Resultate erreicht: der japanische Premiumhersteller von Bearbeitungszentren Makino, der Entwickler und Hersteller von hochwertigen Zerspanungs- und Präzisionswerkzeugen Walter Tools aus Deutschland und der Kühlschmierstoffexperte Blaser Swisslube aus der Schweiz. Die Vorgabe: Prozessoptimierungen. Die Bearbeitungszeiten der Bauteile aus Titan sollen weiter gesenkt und die Standzeiten der Werkzeuge verlängert werden.
Anfang 2021
Die Idee einer Zusammenarbeit für Prozessoptimierungen im Bereich der Titanbearbeitung für die Luftfahrt entsteht. Während des internationalen Luft- und Raumfahrt-Forums am europäischen Hauptsitz von Makino definieren Andrea Biscardi, Produktmanager Makino Europe, und Daniel Schär, Senior Segmentmanager Aerospace und Medical bei Blaser, den Projektrahmen und geben in der Folge den Startschuss.
Im Technologiecenter von Blaser in Hasle-Rüegsau werden 27 Kühlschmierstoffe getestet – 22 von Mitbewerbern und fünf von Blaser Swisslube. Auch eine neue Formulierung für den Einsatz in der Titanbearbeitung für die Luftfahrt gehört zum Testfeld. Sie ist gerade eben im Blaser-Labor entwickelt worden, das mit 70 Mitarbeitenden zu den weltweit grössten der Kühlschmierstoffbranche gehört.
November 2021
Die ersten Tests werden im deutschen Kirchheim unter Teck, dem europäischen Hauptsitz von Makino, durchgeführt. Im firmeneigenen Technologiezentrum steht dafür das 5-Achs-Horizontalbearbeitungszentrum T2 zur Verfügung. Diese High-End-Maschine wurde speziell für das Fräsen von Titan und Titanlegierungen entwickelt. Sie ist bekannt für gute Zeitspanvolumina bei aktuellen Anwendungen in der Luft- und Raumfahrt. Die Makino T2 verfügt über eine feste Konstruktion, ein aktives Dämpfungssystem und eine Hochleistungsspindel mit Kühlmittelkanal und hohem Drehmoment. Das Hochdruck-Kühlmittelsystem ist mit 70 bar bei 200 l/min Volumenstrom sehr leistungsfähig. Ohne hervorragende Werkzeuge erbringt aber das beste Bearbeitungszentrum nur Standardresultate. Deshalb wird in diesem Setting ein Igelfräser von Walter eingesetzt, der für das Schruppen von Bauteilen aus Titan konzipiert wurde. Er befindet sich noch in der Entwicklung und soll im Rahmen dieses Projekts optimiert werden.
„WIR KÖNNEN SO UNTER REALEN BEDINGUNGEN NEUE WERKZEUGKONZEPTE TESTEN
UND WEITERENTWICKELN.“
Dirk Masur, Segmentmanager Luftfahrt von Walter Tools
Die Resultate in diesem Setting sind bereits vielversprechend: An der Frontplatte beträgt die Werkzeugstandzeit mit dem weitverbreiteten Kühlschmierstoff 27 Minuten, mit dem neu entwickelten Blaser-Produkt 31 Minuten (plus 15 Prozent). An den Umfangsplatten sind die Verbesserungen noch deutlicher: 44 Minuten mit dem Standardprodukt und 66 Minuten mit dem neuen Produkt (plus 50 Prozent).
Januar 2022
Im Rahmen der Zusammenarbeit hat Walter den Igelfräser weiterentwickelt: Er verfügt nun über einen zweiten, optimierten Kühlmittelkanal in der Frontplatte. Das stellt sicher, dass die erste Zahnreihe optimal mit Kühlschmiermittel versorgt wird. Die Werkzeugstandzeit kann so mit dem Blaser-Produkt auf 42 Minuten verbessert werden (noch einmal plus 35 Prozent).
November 2022
Eine weitere Modifikation des Werkzeugs wird getestet: Die Wendeschneidplatte ist jetzt mit «WaveCut» ausgestattet. Diese neue, we-lenförmige Schneidkantenform hat Walter speziell für anspruchsvolle Titananwendungen entwickelt. Zudem hat der Hersteller die Platte zusätzlich mit einem keramischen Hitzeschutzschild (CVD-Dünnschicht) versehen. Im gleichen Setting ergeben sich beeindruckende Resultate: Die Standzeit der Frontplatte beträgt jetzt 110 Minuten – gegen-über dem Ausgangswert im November 2021 konnte sie also um 307 Prozent gesteigert werden. Bei den Umfangsplatten wird ein Wert von 105 Minuten gemessen. Gegenüber dem Ausgangswert ist dies eine Steigerung von 138 Prozent.
Eine Win-Win-Situation
Das Beispiel zeigt, wie sich die Wirtschaftlichkeit beim Zerspanen von Titan durch eine professionelle Zusammenarbeit massiv steigern lässt. Für die beteiligten Unternehmen hat sich das Engagement gelohnt. Dirk Masur, Industry Driver Aerospace at Walter, betont die Bedeutung solcher Gemeinschaftsprojekte: «Wir können so unter realen Bedingungen neue Werkzeugkonzepte testen und weiterentwickeln.» Der neue Igelfräser M5250 habe sehr von dieser Zusammenarbeit profitiert. In der Tat verkörpert der im Rahmen dieser Partnerschaft entwickelte M5250 die neueste Generation der Wendeschneidplatten-Fräser des Herstellers: Die verstärkten Zahnrücken und optimierten Plattensitze führen zusammen mit der neu entwickelten «WaveCut»-Geometrie für Titananwendungen und in Kombination mit der separaten Kühlung jedes einzelnen Zahns zu einer deutlich längeren Lebensdauer der Schneideinsätze.
Auch Blaser erhielt wertvolle Erfahrungswerte zum neu entwickelten Produkt Vasco Skytec H 600. «Nach den Standardtests und den Feldtests zur Langzeitstabilität lieferten diese Einsatztests auf der Makino T2 aussagekräftige Vergleichszahlen», sagt Christoph Wüthrich, Anwendungstechniker bei Blaser Swisslube. «Im Vergleich zu anderen Kühlschmierstoffen war die Werkzeugstandzeit pro Schneide mit Vasco Skytec H 600 1,6-mal höher, dadurch konnte das Zeitspanvolumen massiv gesteigert werden.»
Andrea Biscardi, Produktmanager Makino Europe, hebt die Bedeutung des Kühlschmiermittels beim Zerspanen von Titan hervor: «Die Makino T2 bietet die perfekten Bedingungen für höchste Präzision und Hochleistungsschneiden. In Kombination mit dem leistungsstarken Kühlmittelsystem erreicht sie mit herkömmlichen Schmiermitteln einen guten Kühlungsgrad am Werkstück. Mit Vasco Skytec H 600 merkt man noch einmal einen deutlichen Unterschied.» Genauso wichtig sei aber auch das eingesetzte Zerspanungswerkzeug: Wenn dieses so auf den Einsatz von Titan optimiert sei wie der neue Igelfräser M5250 von Walter, «dann können eindrucksvolle Maschinenlaufzeiten erreicht und herausragende Schnittdaten gefahren werden.»